| Foto: rudern.de; Frau Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper und Prof. Dr. Hans Lenk bei der Preis-Übergabe
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| Foto: rudern.de; Dr. Thomas Bach, Prof. Dr. Hans Lenk, Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper (v.l.)
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Foto: rudern.de; Siegfried Kaidel, Vorsitzender des DRV, Frau Ulrike Lenk, Prof. Dr. Hans Lenk (von links)
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Worte und Eier Solche Tage sind Wasser auf die Mühlen der Zyniker. Fairplay im Sport? Ganze zehn Neugierige sind ins Marienhaus der Pfarrgemeinde St. Peter in Heppenheim gekommen, um einem „Plädoyer für eine neue Ethik“ zu lauschen. Der Vortrag, der letzte in der Reihe „Spiele ohne Grenzen?“ der Erwachsenenbildung des örtlichen Pfarreienverbundes, hat ernsthafte Konkurrenz. Im Nachbarort lockt ein Volksfest. Dagegen kommt Fairness nicht an. Und es gibt ein weiteres Indiz dafür, dass das Thema dem Zeitgeist nicht mehr viel sagt. Selbst die blutjunge Volontärin, die das Lokalblatt entsandt hat, um den Auftritt des großen alten Philosophen Hans Lenk zu beschreiben, kann den Altersdurchschnitt im Saal nicht unter 60 Jahre senken. Dabei hätten sie einen bedeutenderen Anwalt für sportlichen Anstand und Mahner vor einem drohenden Artistenpanoptikum nicht finden können. Die Gastgeberin gibt sich alle Mühe, in ihrer Begrüßung dem 75 Jahre alten Gastredner von der Universität Karlsruhe gerecht zu werden. Das ist nett, wirkt aber in diesem Rahmen wie der Versuch, Olympische Spiele nach Michelstadt zu vergeben. Lenk lächelt milde im Licht des Overhead-Projektors. Dennoch kommt er seiner Aufgabe wie gewohnt nach: wortgewaltig, bildreich und gespickt mit dem schwarzen Witz seines Lieblingskarikaturisten Jan Tomaschoff. Zum Beispiel mit diesem: „Endlich mal was Positives“, sagt der Athlet zum Trainer: „Meine Dopingprobe.“ Das kommt auch in Heppenheim an. Selbst wenn die abschließende Diskussion nur wenig an der Oberfläche kratzt. Hier geht unter, dass Lenk einst den Begriff des „mündigen Athleten“ prägte. Dass er als einer der Ersten forderte, im Kampf gegen Doping überraschende Kontrollen einzuführen. Dass er gegen die Überbetonung des sportlichen Sieges argumentiert, gegen den Systemzwang des Hochleistungssports, die mentale Spaltung. Dass er viele halbherzige Verlautbarungen als bloße Imagepflege entlarvt, als „Reaktion des Zauberlehrlings angesichts der Ohnmacht beim Krisenmanagement“. Oder dass er einmal zur Probe aufs Exempel aufrief, um die Scheinheiligkeit des Publikums und die Doppelzüngigkeit vieler Funktionäre zu offenbaren, indem man als Experiment zwei Klassen des Hochleistungssport einrichtete: eine, in der die Athleten sich zu freiwilliger regelmäßiger Kontrolle verpflichteten – und eine offene Klasse. Nur eine Idee, eine Provokation. „Aber es ist keiner interessiert an einer wirklichen Auseinandersetzung“, sagt Lenk. Auch hier im Marienhaus spricht der nette ältere Herr mit silbernem Haarkranz zu netten älteren Herrschaften, die ein wenig über Ethik und Moral plaudern wollen. Und so wirkt dieser Abend noch mehr wie ein Sinnbild seiner beruflichen Laufbahn: International hochgeehrt und viel beachtet hat er in der Heimat stets das Gefühl, mit seinen Ideen, Schlussfolgerungen, Warnungen und Vorschlägen ins Leere zu reden. Im Sport ebenso wie unter Philosophen. Die Ausnahme erlebt er drei Wochen später. Da hat selbst der Tübinger Sozialethiker Professor Dietmar Mieth größte Mühe, das Wirken des berühmten Kollegen angemessen einzuordnen. In seiner Laudatio auf Hans Lenk, den ersten Ethikpreis-Träger des Deutschen Olympischen Sportbundes, versucht er es mit einem Bonmot. Jemand zu loben, der es verdient, sei leicht; jemand zu loben, der mehr Verdienste hat, als man erwähnen könne, sei schwer. „Gar eine lebende Legende, und das ist Hans Lenk, zu loben, ist fast unmöglich“, sagt Mieth, ehe er seiner Aufgabe doch gerecht wird. Jedenfalls gibt sich Lenk verlegen darüber, dass der Laudator ihn besser verstehe als er selber. „Ich habe einiges gelernt“, sagt der Geehrte. Da lachen viele im ausgesucht prominenten Publikum dieses Berliner Festaktes. Auch über die wahre Ironie der Worte? Lenk kennt seine Pappenheimer. Der Professor Dr. Dr. hc mult., der einstige Weltklasseruderer aus dem Olympiagoldachter von 1960, der 25 seiner rund 150 Bücher und zahlreiche Aufsätze im Kanon der mehr als 2.000 Veröffentlichungen seit fünf Jahrzehnten den ethischen Fragen des Sports widmete, hat alle Seiten erlebt. Die „Immobilität und Sprachlosigkeit“ des Funktionärssports, der nicht immer zuhörte, wenn der Denker Lenk auch etwas zurück geben wollte, indem er anregte und erläuterte und mit Gleichgesinnten über die „notwendige Utopie“ des Fairnessgedankens diskutierte. „Da war ich ziemlich frustriert und verzweifelt“, sagt Lenk. „Weil sie die intellektuelle Potenz, die sie im deutschen Sport haben, nicht wahrnahmen oder nicht wahrnehmen wollten.“ Aktuelle Einrichtungen wie Ethikkommissionen oder andere Beiräte reichen ihm nicht. „Pipifax“, sagt der Philosoph. Doch enttäuscht war Lenk vor allem, wenn ihm auf der anderen Seite die Wissenschaft Anerkennung versagte. Man wolle doch einen Philosophen – „und keinen Olympioniken“. So wurde der Vorschlag abgelehnt, den damaligen Privatdozenten als Professor an die Freie Universität Berlin zu berufen. Andere, die um ihn warben, verschwiegen lieber das Kapitel „Sport“ in seinen Werken. Und bis heute hat es die Heidelberger Akademie der Wissenschaften vermieden, ihn als Mitglied aufzunehmen. Im Gegensatz übrigens zu seinem Neffen, einem anerkannten Ägyptologen. „Dabei war ich drei Jahre lang Präsident der Weltakademie der Philosophie“, sagt Lenk. „Also im höchsten wissenschaftlichen Amt, das dieses Fach zu vergeben hat.“ So habe er auch lange überlegt, als der Sport ihm nun den Ethikpreis verlieh. „Aber das kann man wohl nicht ablehnen“, sagt er. Im Gegenteil: Im festen Willen, dem Sport bei dieser Gelegenheit noch einmal die Leviten zu lesen, umschreibt er seine Gedanken und Forderungen schließlich so gewinnend, dass kein Misston bleibt. Jungenhaft lächelnd und scheinbar unbeschwert nimmt er den kiloschweren Ethikpreis entgegen, einen veredelten Steinbrocken aus dem Brandenburger Tor. Nur die grellbunte Krawatte mit allerlei Strichmännchen will nicht so recht in den Rahmen passen. So als wollte Lenk daran erinnern, dass er auch eine Jokologie verfasst hat, die „Rosenmondtagsphilosphie“, eine Philosophie des Scherzes. Oder an das afrikanische Sprichwort, das er auch an diesem Tag als „Motto meiner Philosophie“ zitiert: „Worte sind schön, doch Hühner legen Eier.“
Jörg Stratmann (Chefredakteur der DOSB Medien)
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