Eine Kolportage-Reportage
Samstag, 11. Juni 2022, 9 Uhr, Alemannia Beach: Bestes Sommerwetter empfängt 14 Rudererinnen und Ruderer des Karlsruher Rheinklub Alemannia (Abteilung Junge Erwachsene) zu einer Tagesfahrt, die Wanderruderwart Johannes als „klassisch“ einstuft. Umgehend bricht emsige Geschäftigkeit aus: Skulls an den Steg tragen, Sand auf dem Bootsplatz umverteilen und die Hinterlassenschaften der letzten nächtlichen Enten-Partie vom Steg kehren. Zeitgleich werden die Besatzungen eingeteilt.
9:20 Uhr: „Stoßt ab.“ Die Flying Dutchman mit Obmann Dannes nimmt als erstes Kurs gen Hafenpforte. Derweil macht sich die Crew der Rheinaue mit Obfrau Jutta fertig zum Verlassen des Stegs. Das dritte Team um Obmann und Fahrtenleiter Johannes wartet, den Wellenbrecher in den Armen wiegend, bereits am oberen Ende der Treppe zum Bootssteg.
9:22 Uhr: Den traditionsreichen Rudergruß „Viel Spaß euch“, den Mitglieder der Rheinaue-Crew dem Team Wellenbrecher erbieten, pariert Schlagmann Thomas stilsicher mit der einzig zulässigen Antwort: Was heiße hier Spaß? Eine einzige Schinderei werde das und überhaupt …
9:35 Uhr: Der Wellenbrecher liegt inzwischen mitten im Hafenbecken und alle Wanderruderer*innen sind – Füße auf den Bootswänden, Griffe vor dem Oberkörper fixiert und gesenkten Hauptes – in die Feinjustierung des unsinkbaren Sportgeräts vertieft.
Bereits gegen 9:50 Uhr erreicht der Wellenbrecher die Ausfahrt zum Rhein. Prüfen der Einstellungen, Festzurren der Füße, einen erquickenden Schluck kühlen Krahnebergers. Mit halber Kraft biegt das Boot scharf links ab und mit dem nächsten „Frei weg!“ geht es für 13 km stromaufwärts. Rheinaue und Flying Dutchman sind derweil außer Sicht, aber zweifelsohne in selber Mission unterwegs.
9:51 Uhr bis 10:36 Uhr: Die Sportler*innen des inklusiv besetzten Wellenbrechers (es ist die zweite Wanderfahrt der Alemannia, an der auch wieder ein Sehbehinderter teilnimmt) werden eins. Das Aufkeimen etwaiger Taktlosigkeit wird von Schlagmann Thomas umgehend erspürt, benannt und durch ein aufmunterndes „und hopp“ aus der Welt geschafft. Auch Obmann Johannes bringt vom Fußsteuer aus sein Team in den Flow. Mit Ausrufen der Freude informiert er, wenn ein weiterer „Berg“ erklommen ist, womit hier das Überfahren der in den Rhein hinein ragenden Buhnen und entsprechender Wellenberge gemeint ist. Und wenn auch am Anfang das Karlsruher Kohlekraftwerk nicht kleiner werden mag, was insbesondere das sehbehinderte Crewmitglied teilweise arg mitnimmt, genügt ein weiteres „und kräftig schieben“, damit die Stemmbretter Saures bekommen und ein kontinuierlicher Vortrieb sich einstellt. Der Wellenbrecher macht insbesondere in den Stromschnellen seinem Namen wortwörtlich Ehre.
10:37 Uhr, Anleger Rheinfähre Neuburgweier: Die grazile Kunstfertigkeit des Rudersports führt Johannes den Passagieren der Fähre zwischen Neuburgweier und Neuburg vor Augen: Er hält in voller Fahrt auf die äußere, wasserseitige Spitze der Fähre zu schlägt im entscheidenden Moment das Steuer ein, kommt für 1/1/2 Schläge längsseits zum Fahrgastschiff und bringt sein Boot mit dem nächsten Impuls an das Fußsteuer bereits wieder in sichere Entfernung zum selben. Die Passagiere applaudieren zeitgemäß durch reflexhaftes Smartphone-Zücken und knipsendes Draufhalten.
10:39 Uhr: Der Wellenbrecher läuft in einem Seitenarm direkt hinter dem Zollhaus ein und kommt im dortigen Jachthafen zum Stehen. Hier wird er von der Besatzung der Rheinaue standesgemäß mit Seemannsgarn zu einer Ruderpause empfangen: Wo man den gewesen sei? Die Rheinaue sei schon wieder auf dem Heimweg. Das Essen in Rastatt sei super gewesen. Damit liefert Martin, Schlagmann der Rheinaue, ein fatales Stichwort. Erstes banges Fragen: Man habe gehört, das Essen in Rastatt dauere lange und man habe doch jetzt bereits arg Hunger. Währenddessen fotografieren sich alle auf halber Strecke fleißig gegenseitig. Die Hungersorgen werden die Besatzung des Wellenbrechers bis ans Ziel begleiten. Gut gemeinte Hinweise, man solle aus der Körperreserve Kraft schöpfen, kommen gar nicht gut an.
11.00 bis 11.58 Uhr: Beide Boote sind zurück auf dem Rhein, Wellenbrecher voran. An dieser Stelle muss die Kraft, Ausdauer und Stärke der Besatzung der Flying Dutchman gepriesen und besungen werden, die sich zu dem mutigen, rühmlichen und nicht weniger als heldenhaften Unterfangen entschlossen hat, den Rhein auf der Pfälzer Seite zu erklimmen und von daher nur von Ferne zu sehen ist. Ab Gesamtkilometer 11 sind dann trotz knurrenden Magens alle Wanderruderer*innen im Zustand des Flows angelangt, den sie durch weite Auslage, solide Rücklage und meditatives, ruhiges Vorrollen bei einer Schlagzahl von 21 geflissentlich aufrecht erhalten. So meistern sie die weite Kurve vor Rastatt bei Lauterbourg, die mit sehr vielen Hindernissen aufwartet.
11.59 Uhr: Frenetischer Jubel, zahlreiche Dankesbezeugungen an den Steuermann und äußerstes Glück! Mit „Stoppen, stoppt“ hält der Wellenbrecher in der Einfahrt zum Goldkanal und wartet hier auf die Rheinaue, die nur einige Momente später eintrifft und von Thomas aus dem Heck heraus mit schallendem Applaus und fröhlichen Hurra-Rufen empfangen wird. Von hieraus bricht man kurz nacheinander zu den letzten 2,5 Kilometern der ersten Etappe auf.
12:15 Uhr, Goldkanal, Steg Ruder Club Rastatt: „Bin ich froh, diesen tollen Sport zu betreiben und nicht so einen Quatsch wie Hallen-Halma machen zu müssen.“ Der Schlagmann der Rheinaue gerät, derweil er behände Skulls aus den Dollen schwingt, in ehrlichste Begeisterung. Der Schlagmann des Wellenbrechers pflichtet umgehend bei: „Das war super heute. Das ein oder andere Mal haben wir uns hier schon hochgequält. Heute lief es spitze!“ JayCee, Subsektion Para-Rudern, praktiziert die ihm eigene Ausstiegsmethode das erste Mal nach Backbord. Hernach fasst er an der Rheinaue mit an, um diese in die Ruheposition zu befördern. Dabei ergeht er sich in Betrachtungen wie „der Lack ist gut erhalten und gold-braun.“ Mit trefflichen Fakten, das Boot sei in erster Linie einmal schwer, versuchen in alle Mittragenden in die Realität zurück zu holen und weisen ihn ferner freundlichst darauf hin, dass man ihm sogar einen Teppich ausgerollt habe. Gedanklich kommt der Parasportler momentan über den Farbenkreis jedoch nicht hinaus und moniert stur, der Teppich sei nicht rot. Später wird er Schnitzel Wiener Art bestellen.
13:00 Uhr, Terrasse der Clubgaststätte Ralfs Bootshaus: „Ich habe mir eine Blase gesteuert.“ Mit dieser geschickt platzierten Feststellung unterbindet Fahrtenleiter Johannes etwaige Gespräche über Verletzungen an Händen und sonstigen Gliedmaßen, die nun wirklich nicht an den Mittagstisch gehören. Inzwischen sind alle wohlbehalten eingetroffen und es gelingt den umsorgenden Gastwirten, gerade die Hungrigste mit als Erstes zu versorgen. Leider gehen ob der schieren Menge des Georderten auch zwei Bestellungen gänzlich unter. Das Anfertigen veganer Ruderinnen-Verpflegung lässt das Service-Team dann aber zu erneuter Höchstform auflaufen. Mit Bedauern muss der Chronist an dieser Stelle notieren, dass „Ralfs Bootshaus“ zukünftig ohne Ralf auskommen muss, da der Pachtvertrag ausläuft. Die Gespräche bei Tisch sind zu tiefgründig und vielschichtig, um ihnen in einer Kolportage wie dieser gerecht zu werden. Im weitesten Sinnen ist der gemeinsame Sport das einende Thema. Beraten werden optimalen Taktiken und Ausstiegspunkte bei „All You Can Row“ oder die Schiffbarkeit der Murg. Nur bei einigen Herren lässt die Ernsthaftigkeit, die bei solchen Themen von Nöten ist, sehr zu wünschen übrig: JayCee fragt an, ob er auf dem Rückweg in Neuburgweier von Bord gehen dürfe. Er wohne da quasi um die Ecke. Martin und Thomas geraten, derweil sie in Erinnerungen schwelgen, in die unguten musikalischen Fahrwasser des Chris-Roberts-Schlagers „Du kannst nicht immer 17 sein“. Vereinzelt entgleiten Sportler*innen in einen kurzen Powernap.
14:30 Uhr: Dannes gemahnt zum Aufbruch. Flux ist der Fliegende Holländer gewassert und mit der freudigen Aussicht, auf Vater Rheins Schwingen gen Alemannia Beach zu schweben, entschwindet der erste Fünfer auf dem Goldkanal. An Land treibt derweil ein Ohrwurm sein Unwesen. Jetzt pfeift auch JayCee „Du kannst nicht immer 17 sein“. Trotzdem sind auch Rheinaue und Wellenbrecher einigermaßen zügig zurück zu Wasser. Letzterer stößt als Letztes ab.
14:50 Uhr, Goldkanal, Steg Ruder Club Rastatt: „Fertig machen zum Streichen, los!“ Mangelnden Sachverstand ersetzen Teile der Crew durch Kraftaufwand, doch mit glücklicher Fügung ist auch der Wellenbrecher bald fertig zum Voraus.
15:05 Uhr, Goldkanal, Ausfahrt Rhein: Vater Rheins Schwingen tragen nun auch den Wellenbrecher, der zum Wellenreiter mutiert.
15:30 Uhr, irgendwo bei km … was weiß ich: „Ist die Fahrrinne frei? Dann bitte halten.“ Mit „Ruder halt“ entblößt Schlagmann Thomas sein Haupt und taucht die Kopfbedeckung in das kühlende Nass. Derweil lauschen die beiden Musiker Wiebke und JayCee gebannt dem Gesang des Rheines. „Interessant, welchen Klang der Kies erzeugt“ meint Wiebke. „Ist das nicht Sand?“ kontert JayCee. Wagnerianisches Urteil des Fahrtenleiters: „Es ist das Rheingold! Alles vor.“
15:45 Uhr, Karlsruhe, Einfahrt Rheinhafen: Zu Beginn der letzten 3 km zieht der Wellenreiter an der Rheinaue vorbei. Hier scheint man zu meinen, die Fahrt ist zu schön, um schon vorbei zu sein. Und doch naht nun unerbittlich das Ende.
16:05 Uhr, Alemannia Beach: Alle Teams sind wohlbehalten im heimatlichen Sand angekommen. Ein herzliches Dankeschön den Obleuten Jutta, Dannes und Johannes, die uns fußgesteuert und mit Weitblick sicher durch den Tag geleitet haben!
Johann C. Haake (alias JayCee), Rheinstetten, 12. Juni 2022
Fotos: Teilnehmer der Exkursion